Prof. Erhard Wiebe

Prof. Erhard WiebeAm 29.3.2007 feierte Prof. Erhard Wiebe seinen 75. Geburtstag.

Das Department Maschinenbau und Produktion gab aus diesem Anlass einen Empfang, zu dem zahlreiche Weggefährten des Jubilars erschienen. Die Laudatio (nachfolgend der Text) sprach Prof. Dr. Jürgen Dankert.

Prof. Dr. Jürgen Dankert
Laudator
Prof. Dr. J. Dankert

Lieber Herr Wiebe, liebe Frau Wiebe, verehrte Gäste,

der 75. Geburtstag ist – wie es neudeutsch heißt – eine Benchmark dafür, ob man in seinem Berufsleben eine nachhaltige Spur hinterlassen hat. Wenn man sich an der früheren Wirkungsstätte nicht nur an den Jubilar erinnert, sondern wie in Ihrem Fall sogar einen Empfang organisiert, dann hat man diesen Test mit Bravour bestanden, was aus gutem Grund nicht verwundern kann.

Fast ein Drittel dieser 75 Jahre – von 1974 bis 1996 – waren Sie der Chef des Fachbereichs, der heute "Department Maschinenbau und Produktion" heißt. Ich verwendete in diesem Satz absichtlich das allgemein verständliche Wort "Chef", denn ich muss für die Jüngeren unter den Anwesenden doch einige Erklärungen voranstellen.

Das war eine andere Zeit! Es war die Hochzeit der Gremien- und Gruppenhochschule mit streng kameralistischer Haushaltsführung. Die Gremien beschlossen und einer durfte die Beschlüsse verkünden und hieß deshalb Sprecher. 22 Jahre "Sprecher des Fachbereichs", was für eine irreführende Bezeichnung für denjenigen, der für mehr als 100 Mitarbeiter, weit über 1000 Studenten, Finanzen, Räume, Lehre und Forschung die alleinige Verantwortung trug, denn das ist ein bis heute nicht geheilter Mangel der Hochschul-Demokratie, dass Gremien-Mitglieder munter beschließen können, ohne für ihre Beschlüsse Verantwortung übernehmen zu müssen.

Prof. Dr. Rolf Dalheimer
Auch ein Meister auf der Klaviatur der Gremien- und Gruppen-Hochschule:
Prof. Dr. Rolf Dalheimer, seinerzeit Präsident

Sie, lieber Herr Wiebe, haben Verantwortung übernommen und waren auf der Klaviatur dieses unendlich schwierigen Instruments "Gremien-Hochschule" ein wahrer Meister. Gremien – das waren zu jener Zeit nicht nur der Fachbereichsrat, an den wir uns ja auch jetzt noch erinnern, der Studienreform-Ausschuss, den es noch gibt, der Hochschul-Senat, der überflüssigerweise auch immer noch existiert, und das bemerkenswerte Konzil mit zum Schluss 78 stimmberechtigten Mitgliedern, dazu gehörten – um nur zwei von vielen zu nennen – so schreckliche Einrichtungen wie der HuPA – Haushalts- und Planungsausschuss –, der seine Arbeitsfähigkeit ausschließlich dem damaligen Präsidenten Prof. Dalheimer verdankte, einem anderen Meister auf dem genannten Instrument "Gremien-Hochschule" (und nebenbei bemerkt, lieber Herr Dalheimer, der HuPA büßte seine Arbeitsfähigkeit nach Ihrem Ausscheiden schlagartig ein), und der so genannte LuSt-Ausschuss.

"LuSt-Ausschuss", das klingt heute eher nach "Betriebsrat der Volkswagen AG". Damals war es eines der Folter-Instrumente, das speziell für Fachbereichs-Sprecher erfunden war, die mit Studien- und Prüfungsordnungen, die die Gremien des Fachbereichs – Studienreform-Ausschuss und Fachbereichsrat – beschlossen hatten, dort erscheinen mussten, um vor Sozialpädagogen, Bibliothekaren und Gestaltern (Ingenieure waren immer schwach vertreten in den Gremien) die Inhalte der Ingenieur-Ausbildung zu verteidigen.

Drei Studien- und Prüfungsordnungen und zahlreiche Änderungen haben Sie, lieber Herr Wiebe, während Ihrer Amtszeit durch den LuSt -Ausschuss bringen müssen, und dass ich unter den vielen Verdiensten, die es heute aufzuzählen gilt, dies an den Anfang

Erhard-Wiebe-Park Erhard-Wiebe-Park

stelle, bedarf einer kurzen Begründung: Als man mich bat, heute die Laudatio hier zu halten, habe ich nach ganz kurzer Überlegung sofort zugesagt, weil mir klar war, dass nur jemand, der selbst über einen gewissen Zeitraum (wenn auch nur 6 Jahre im Vergleich mit ihren 22 Jahren) diese Position durchlitten hat, Ihre Verdienste und Ihre Erfolge angemessen würdigen kann. Wenn ich unter Kollegen das Gespräch auf Ihre Verdienste brachte, erinnerten sich diese vornehmlich an Äußerlichkeiten, das Durchsetzen des Aufräumens des Bereichs, der heute Erhard-Wiebe-Park heißt, hat zum Beispiel bei vielen Kollegen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Diese Leistung würdige ich durchaus auch, auch wenn sie sich für mich dadurch relativiert, dass ich den größten Teil der verschwundenen Boote und Alt-Autos unseres früheren Hausmeisters in meiner Amtszeit in zerlegter Form im Schleppkanal, den Nebenräumen und hinter der Bühne der Aula und in vielen anderen Geheimecken unserer drei Gebäude wieder fand. Aber unter den zu würdigenden Leistungen Ihrer Amtszeit sehe ich doch vieles andere wesentlich weiter vorn. Und wenn ich daran erinnern darf, dass das Bild des  Ingenieurs (und damit der Ausbildungsinhalt) in den siebziger Jahren noch vom "Brett vor dem Kopf und dem Rechenschieber in der Hand" geprägt war, dann steckt in der Entwicklung der Lehrinhalte doch eine ganz besondere Leistung.

Heute weiß ich: Ihre drei Studien- und Prüfungsordnungen waren nicht nur Meilensteine, sondern – wie es der gegenwärtige Senator ausdrücken würde – Leuchttürme. Die 1974er Ordnung war gewissermaßen der Übergang von der Ingenieurschul-Ausbildung zum akademischen Studium. Es folgte Ende der 70er Jahre die Einführung des praktischen Studiensemesters, ein unendlich schwieriger Prozess mit gewaltigen Widerständen. Hauptargument für die Einführung des Praktikumssemesters war übrigens nicht – wie es rückblickend gern dargestellt wird – die angestrebte Praxisnähe des Studiums, sondern die gezielte Verlängerung der Regelstudienzeit auf schließlich 8 Semester, um die internationale Anerkennung der Abschlüsse zu befördern. Die Kompatibilität zum internationalen Standard war in den letzten Jahren nun das Hauptargument, um wieder kürzere Regelstudienzeiten einzuführen. Die Prüfungsordnung von 1985 war dann die endgültige Fixierung des klassischen 8-semestrigen Fachhochschul -Studiums. Ihr Meisterwerk, lieber Herr Wiebe, war die Studien- und Prüfungsordnung von 1993, weil diese inhaltlich die fälligen Umwälzungen brachte, natürlich wieder gegen vehemente Widerstände.

Zeichensaal
Die Zeichenmaschinen wurden sehr früh abgeschafft

Die 93er Ordnung brachte das Informationszeitalter in die Maschinenbau-Ausbildung, die Zeichenbretter wurden abgeschafft, CAD wurde vom exotischen Hauptstudiums-Fach zum selbstverständlichen Hilfsmittel der Konstruktions-Ausbildung und das schon in der 85er Ordnung vorgesehene Programmierpraktikum wurde zu einer sehr soliden Informatik-Ausbildung ausgebaut. Wie weitsichtig das damals war, wurde mir erst in meiner eigenen Amtszeit deutlich, als ich um die Jahrtausendwende als Ihr Nachfolger im Fachbereichstag Maschinenbau an anderen Hochschulen noch die guten alten Zeichenmaschinen wie selbstverständlich im Einsatz sah.

Drei Prüfungs- und Studienordnungen in 22 Jahren, auf drei neue Ordnungen haben wir es in den gut 10 Jahren seit Ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst auch gebracht. Und aus fester Überzeugung sage ich in Bezug auf die Maschinenbau-Ausbildung: Keine der nachfolgenden Studienordnungen war annähernd so gut wie Ihr letztes Werk von 1993, was auch daran liegt, dass keine der neuen Ordnungen lange genug gültig war, um die Vorteile der Veränderungen, die ja immer Verbesserungen sein sollten, sichtbar werden zu lassen.

Und aus dem bereits genannten Grund, dass Äußerlichkeiten viel stärker in der Erinnerung bleiben, war es mir ein Anliegen, Ihre Verdienste um die Inhalte der Lehre, die ja die Kernaufgabe an unserer Hochschule darstellt, hier voranzustellen. Nun aber der Reihe nach:

Student in Berlin
Student in Berlin

Für einen im Jahre 1932 in der Nähe von Danzig geborenen Jungen hatte die deutsche Geschichte allerhand Unannehmlichkeiten, um es vorsichtig auszudrücken, zu bieten. Es verschlug die Familie über den Umweg Dänemark schließlich in den östlichen Teil der holsteinischen Provinz. Dort konnte Erhard Wiebe seine mehrfach unterbrochene Schulausbildung schließlich beenden. Aber den jungen Mann zog es offensichtlich aus der dörflichen Enge zum Studium in die Großstadt, und weil Hamburg ein universitäres Studium seines Wunsches damals noch nicht anbieten konnte, ging er an die TU Berlin, um Maschinenbau zu studieren. Natürlich Maschinenbau, alle Anwesenden wissen, dass dies die Königsdisziplin aller akademischen Studiengänge ist. Ihren Abschluss als Diplom-Ingenieur erreichten Sie 1961. Es war das Jahr, in dem in Berlin die Mauer gebaut wurde.

Rechtzeitig vorher hatten Sie noch einen ganz wichtigen Punkt in Ihrem Lebenslauf erledigt, denn sich die Frau fürs Leben aus Pankow zu holen, wäre nach 1961 recht schwierig gewesen.

Ich weiß nicht, ob der Mauerbau für Ihre Entscheidung eine Rolle gespielt hat, denn Sie wechselten noch in diesem Jahr den Standort vom freien (aber eingemauerten) Teil Berlins in die Nähe der wirklich Freien und Hansestadt Hamburg und haben dort bei den Keramischen Werken der Firma Philips Ihre Erfahrungen in der industriellen Praxis gesammelt.

Die sechziger Jahre wurden der Arterhaltung gewidmet. Zunächst sicherten Sie den Fortbestand der Wiebes in Form einer Tochter und zweier Söhne, von denen der jüngere allen Anwesenden genau bekannt ist, dann führte Ihre Sorge um den Fortbestand der immer mal wieder vom Aussterben bedrohten Gattung "Maschinenbau-Ingenieure" Sie im Jahre 1967 zum "Berliner Tor". Dieser Begriff ist eingeführtes Synonym für die Maschinenbau-Ausbildung in Hamburg in den über mehr als 100 Jahren unter verschiedenen Namen geführten Bildungseinrichtungen. Als Sie hier ankamen, hieß das Berliner Tor gerade Ingenieurschule. Sie kamen als Dozent für das Fachgebiet Fertigungstechnik und wurden vermutlich im Range eines Baurates eingestellt.

Fachbereichs-Sprecher ab 1974
Fachbereichssprecher seit 1974

Im Jahre 1970 wurde das Berliner Tor zur Fachhochschule Hamburg (ich weiß, lieber Herr Dalheimer, die Fachhochschule war immer mehr als das Berliner Tor, aber in diesen Räumen müssen Sie diese kleine Ungenauigkeit ertragen). Es entstanden die Fachbereiche, die Maschinenbauer bildeten gemeinsam mit dem gerade anlaufenden Studiengang Chemieingenieurwesen den Fachbereich Maschinenbau und Chemieingenieurwesen. Die Direktorial-Verwaltung wurde abgelöst durch die akademische Selbstverwaltung. Es gab offensichtlich nicht unerhebliche Anfangs-Schwierigkeiten, zumindest weist die Chronik für die ersten vier Jahre mehrere (oft nur ganz kurz im Amt befindliche) Fachbereichssprecher aus. Wie gründlich dieses Wechselspiel vorbei sein sollte, ahnte wohl niemand, als Herr Wiebe 1974 in das Amt des Fachbereichssprechers gewählt wurde, und zu den 22 Jahren, die die "Ära Wiebe", wie man sie zweifellos nennen darf, dauern sollte, muss ich noch folgende Bemerkung ergänzen:

Der Fachbereichssprecher wurde für eine Amtszeit von zwei Jahren gewählt, jeweils in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst musste man den Sprung in den Fachbereichsrat schaffen, der aus seinen Mitgliedern dann den Sprecher wählte. Das sind in 22 Jahren also genau 22 Wahlen, die Sie gewinnen mussten. Das Argument, dass die Konkurrenz ja nicht sehr groß war, weil die Anzahl derer nicht so sehr groß war, die bereit und fähig waren, dieses Amt zu bekleiden, zieht nicht, denn man kann dieses Amt nicht so ausüben, dass man es allen Recht macht und nicht selten muss man auch mal jemand recht heftig auf die Füße treten, und Professoren sind an den Zehenspitzen bekanntlich ganz besonders empfindlich. Und zu den Misslichkeiten der freien und geheimen Wahlen gehört die Tatsache, dass man in der Anonymität der Wahlkabine natürlich dem Kandidaten heftig eins auswischen kann, ohne dass es bekannt wird. Man muss ja auch nicht selbst Verantwortung übernehmen, wenn man denjenigen, der dazu bereit ist, daran hindert.

Professoren des Fachbereichs im Jahr 1980
Musste in zwei Klassen sortiert werden: Professoren-Riege 1980

Und es gab schon in den ersten Jahren Ihrer Amtszeit ausreichend Gelegenheiten, sich als Fachbereichssprecher beliebig viele Feinde zu machen. Dem Streit um die Einführung des Praxissemesters Ende der 70er Jahre folgte sehr bald eine zweistufige Aktion, das so genannte Übernahmeverfahren, dessen Nachbeben ich noch in den 90er Jahren spürte. Zunächst wurden die Bauräte und Oberbauräte zu Professoren. Dies ging noch relativ glimpflich ab, weil schließlich doch fast alle Dozenten zu Professoren ernannt wurden. Dann aber musste die Professoren-Riege in zwei Klassen sortiert werden: C2 und C3. Dazu brauche ich nichts zu sagen: Der Insider weiß, welche unsäglichen Schwierigkeiten und Probleme und Querelen mit diesen beiden Begriffen zu verbinden sind, und der Außenstehende versteht es ohnehin nicht. Aber irgendwie ist auch diese Aktion gelungen, ohne dem damaligen Fachbereichssprecher bleibende äußerliche Schäden zuzufügen.

Es gab auch ein sehr schönes Ereignis in dieser Zeit. Man feierte "75 Jahre Ingenieur-Ausbildung in Hamburg". Aus der Festschritt zu diesem Ereignis stechen zwei Bilder hervor: Präsident Dalheimer und Sprecher Wiebe mit Fachhochschul-T-Shirts, und das andere Bild der Gruppe der Professoren ruft bei mir immer die Überlegung hervor, was es wohl für eine Mühe gemacht haben muss, die Herren zu diesem gemeinsamen Fototermin zu überreden.

Präsident und Fachbereichssprecher
Aus der Festschrift "75 Jahre Ingenieurausbildung": Präsident und Fachbereichssprecher

Mindestens ebenso wichtig wie Ihre Virtuosität im Umgang mit den Gremien war Ihr Geschick, aus dem so unendlich schwerfälligen kameralistischen Haushaltssystem das Beste herauszuholen. Ein Verwaltungsleiter eines Nachbarfachbereichs sagte mir einmal, er wäre mit einer ganz einfachen Strategie immer gut gefahren, die da lautete: "Oh, Geld! Schnell ausgeben und sofort weiter jammern. Natürlich", setzte er hinzu, "muss man auch immer mal wieder Windhund sein, wenn es um das Anzapfen der zentralen Töpfe geht." Ihr System, lieber Herr Wiebe, war noch deutlich feinsinniger, wie ich glücklicherweise lange genug beobachten konnte, um die Erfahrungen später selbst zu nutzen. "Immer mindestens einen Antrag mit guter Begründung in der Schublade haben, damit man bei einer sich bietenden Chance sofort reagieren kann", haben Sie mir einmal erklärt. Ja, natürlich, ein sehr schneller Windhund war er auch, aber da war immer auch noch mehr:

Als ich 1990 hier anfing, fand ich den ersten PC-Pool vor, der kurz zuvor hier im Haus installiert worden war. Dieser war eine Siegtrophäe des gerade beendeten Windhundrennens, das zu der Zeit "Möllemann II" hieß. Als ich mich darüber wunderte, dass der PC-Pool dem Labor für Fertigungstechnik und nicht dem Rechenzentrum angegliedert war, erklärte mir Herr Wiebe: "Das ist ganz einfach: Dieses Labor gehört zu uns, das Rechenzentrum leider zum Fachbereich E/I." Und dieses "leider" in dieser Aussage war der Auftakt dazu, das gemeinsam genutzte Rechenzentrum dem Fachbereich E/I abzuhandeln. Weil ich bei diesen Verhandlungen stets dabei war, müssen Sie es sich heute gefallen lassen, Herr Wiebe, dass ich Ihre Verhandlungsführung nicht nur als hartnäckig, sondern auch mit dem Prädikat "geschickt bis schlitzohrig" einstufe. Als uns dann das Rechenzentrum schließlich gehörte, wurde der PC-Pool natürlich sofort dorthin verlagert.

Beispiele dieser Art gäbe es noch beliebig viele zu berichten, ich kann mich jedoch auf eine Bemerkung dazu beschränken: Ich habe während meiner eigenen Amtszeit sehr viele maschinenbauliche Fachbereiche an Fachhochschulen kennen gelernt. Es gibt keinen mit vergleichbarer Ausstattung an Laboren, und das ist auf Ihr ganz persönliches Geschick zurückzuführen, das richtige Maß zu finden an Bewahren (man denke an unsere schöne Maschinenhalle), Fördern von Eigeninitiativen (man denke an das Hydrauliklabor), Ausnutzen von Industriekontakten (siehe das damalige Fertigungstechniklabor) und Investieren, wenn die Mittel gerade verfügbar waren.

Für das leidige November-Fieber, einem speziellen Charakteristikum der Kameralistik, hatten Sie auch eine elegante Lösung. Natürlich durfte man nicht das ganze Geld immer schnell ausgeben, wie es der zitierte Verwaltungsleiter empfahl, es konnte ja im Herbst ein wichtiges Laborgerät ausfallen, aber auf keinen Fall durfte Geld verfallen. Ich bekam deshalb von Ihnen den Auftrag, für die Professoren-Büros PCs zu beschaffen, die notwendigen Angebote einzuholen, aber erst im letzten Moment im November zu kaufen, wenn zu sehen war, wie viel Geld noch ausgegeben werden musste. Dass Sie mir dafür die Entscheidung und den immensen Ärger aufbürdeten, welche Professoren in welcher Reihenfolge bedacht werden sollten, habe ich Ihnen nicht übel genommen, weil Sie mir andererseits in diese Entscheidung überhaupt nicht hineinredeten. Ich habe das Prinzip sogar in meine eigene Amtszeit übernommen: "Verantwortung immer nur mit allen Konsequenzen delegieren:"

Lieber Herr Wiebe, in der Reihe der Verdienste, die ich heute hier würdigen möchte, fehlt noch eine große (und die aus meiner Sicht wichtigste) Gruppe, die ich unter die Überschrift "Kultur des Fachbereichs" stellen möchte.

Absolventenverabschiedung in den 80er Jahren
In den 80er Jahren demonstrierten die Studenten noch mit betont nachlässiger Kleidung, was sie vom "akademischen Schnickschnack" einer feierlichen Verabschiedung hielten

Als ich 1990 von der Fachhochschule Frankfurt nach Hamburg wechselte, wurde ich schon nach wenigen Wochen von einer Veranstaltung überrascht, die in Frankfurt seinerzeit undenkbar gewesen wäre. Ich rede von der feierlichen Verabschiedung der Absolventen. Ich war sehr angetan von diesem Stil hier in Hamburg, wurde aber 8 Jahre später, bei der ersten Verabschiedung der Absolventen in meiner Amtszeit davon überrascht, dass sich zwei Dekane anderer Fachbereiche dazu anmeldeten, weil sie gehört hätten, dass man im Fachbereich Maschinenbau und Produktion, wie er inzwischen hieß, eine sehr schöne Veranstaltung dieser Art durchführte und sie mit dem Gedanken spielten, das eventuell auch in ihren Fachbereichen einzuführen. Ich musste feststellen, dass diese Feier gar keine Hamburgensie war, sondern die Erfindung eines Fachbereichssprechers, der sich schon in den 80er Jahren darüber hinwegsetzte, dass akademische Feiern verpönt waren. Und er hat einen Standard geprägt, der seinen Nachfolgern durchaus zu schaffen machte. Seine Ansprachen sind legendär, der Musik- und Literaturfreund, der im Ingenieur Erhard Wiebe steckt, hat zum Niveau dieser Veranstaltungen ganz wesentlich beigetragen.

Aber die Pflege der Absolventen des Fachbereichs beschränkte sich nicht auf deren feierliche Verabschiedung. "MaCh", abgeleitet aus Maschinenbau und Chemieingenieurwesen, ist das jährliche Treffen der Ehemaligen, das Sie 1989 einführten und das sich von Jahr zu Jahr größerer Beliebtheit erfreute. Dazu muss ich noch eine spezielle Bemerkung anknüpfen: Wir haben es in dem von Ihnen geprägten Stil fortgeführt, bis wir durch eine Reihe von Hinweisen spezieller älterer Absolventen über einen neuen Ablauf der Veranstaltung nachdachten und im Jahre 2004 dann eine Weiterbildungsveranstaltung mit einer Ausstellung und einem gemütlichen Teil auf der Elbe organisierten, die ein großer Erfolg war. Im Jahre 2005 folgte die ganz große Veranstaltung zur 100-Jahr-Feier, und dann riss diese Tradition plötzlich ab. Es wäre sehr schade, wenn gerade diese von Prof. Wiebe eingeführte Veranstaltung nicht in einer wie auch immer gearteten Form eine Fortsetzung hätte.

Gründungsvorstand des Freundeskreises Maschinenbau
Die Gründung des Freundeskreises im Jahre 1987 war ein Meilenstein in der Geschichte des Fachbereichs. Für den Gründungsvorstand konnte Prof. Wiebe namhafte Vertreter aus der Industrie gewinnen.

Kultur kostet auch Geld, und in Zeiten kameralistischer Haushaltsführung, in denen das Geld in verschiedenen Töpfen festgelegt war, war es nahezu unmöglich, auch nur einen Blumenstrauß zum Ausschmücken der Aula oder gar das Geld für das anschließende Sektbuffet aus einem dieser Töpfe zu entnehmen. Und wenn im Jahre 1987, um unsere Praxispartner und unsere Absolventen noch enger an uns zu binden, der Freundeskreis Maschinenbau gegründet wurde, dann waren sicher auch finanzielle Überlegungen dabei. Es gelang Ihnen, lieber Herr Wiebe, schon für den ersten Vorstand namhafte Industrievertreter zu gewinnen. Der Freundeskreis, der heute den Namen "Maschinenbau und Produktion" trägt, entwickelte sich zu einem prägenden Bestandteil der Fachbereichskultur, und wenn ich rekapituliere, was in Verbindung mit dem Freundeskreis von Ihnen angeschoben wurde und bis heute Bestand hat, müssen wir Ihnen dafür zu besonderem Dank verpflichtet sein. Herausheben möchte ich nur zwei Dinge: Das jährliche Kolloquium, das gemeinsam mit dem VDMA organisiert wird, hat uns in den letzten 20 Jahren wohl in alle interessanten Firmen von Hamburg und Umgebung geführt, und die jährlich erscheinende Zeitschrift ist von Ihnen in den ersten Jahren gewissermaßen im Alleingang erzeugt worden. 1997 (Sie waren bereits im Ruhestand) haben Sie ganz allein eine kleine Festschrift zum zehnjährigen Bestehen produziert, und das erinnert uns alle daran, dass der Freundeskreis in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag feiert.

Werner Baensch und Herbert Rehn
Zwei sehr großzügige Stiftungen zugunsten des Fachbereichs wurden in der "Ära Wiebe" gegründet. Heute erinnern zwei Bronzetafeln im Eingangsbereich des Fachbereichs an die beiden Stifter.

Einen Freundes- und Förderkreis haben viele Fachbereiche, eine Stiftung, deren Nutznießer ausschließlich die Studenten des Fachbereichs sind, haben nur ganz wenige. Dieser Fachbereich – heute Department – hat zwei Stiftungen dieser Art, und ich weiß sehr wohl zu würdigen, welchen persönlichen Anteil Sie, lieber Herr Wiebe, an der Gründung der Werner-Baensch-Stiftung im Jahre 1988 und der Gründung der Herbert-Rehn -Stiftung im Jahre 1993 hatten. Die Stiftungen gestatten uns die regelmäßige großzügige Vergabe von Preisen für herausragende Leistungen der Studenten, die seit dem Tode des Stifters im Jahre 2001 geradezu üppig ausgestattete Herbert-Rehn-Stiftung hat schon sehr vielen Studenten geholfen, finanzielle Sonderbelastungen wie zum Beispiel Auslandspraktika zu tragen.

Am 31. August 1996, am Ende Ihrer 11. Amtszeit als Fachbereichssprecher, beendeten Sie Ihren aktiven Dienst. Die Fachhochschule verlieh Ihnen aus diesem Anlass die Würde eines Ehrensenators. Sie sind uns aber glücklicherweise nicht verloren gegangen. Sie sind zu allen wichtigen Anlässen präsent, aktiv noch im Vorstand des Freundeskreises und natürlich – nicht zu vergessen – organisatorischer Kopf der Albertinen, was für "Alt-Kollegen Berliner Tor" steht, wo Sie mit regelmäßigen interessanten Veranstaltungen dafür sorgen, dass auch die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen noch im Kontakt bleiben.

Ehrensenator Prof. Erhard Wiebe
Verleihung der Würde eines Ehrensenators im Jahre 1996 an Prof. Wiebe durch den Präsidenten der FH Prof. Dalheimer

Lieber Herr Wiebe, Sie haben an dieser Hochschule eine tiefe Spur hinterlassen und den Fachbereich Maschinenbau und Chemieingenieurwesen, der heute das Department Maschinenbau und Produktion ist, den haben Sie geradezu geprägt. Vieles, sehr vieles geht auf Sie zurück, wurde zum Teil modifiziert und auch weiterentwickelt, und ich hoffe, dass dies so bleibt.

Sie werden gemerkt haben, dass ich einige Dinge ausgelassen habe, die Ihnen auch am Herzen gelegen haben und die in Ihrer Amtszeit durchaus als Erfolg zu verbuchen waren. Aber es gäbe vielleicht doch der heutigen Feier eine traurige Nuance, wenn ich über den Studiengang Chemieingenieurwesen, das Institut für Fertigungstechnik, das Labor für Kerntechnik mit dem einzigen Kernreaktor, den das Land Hamburg je betrieben hat und noch einige andere Dinge mehr berichtet hätte, zumal diese Stichworte ja mein persönliches Problem sind, denn alles, was ich eben aufgezählt habe, musste ich in meiner Amtszeit abbauen. Ich muss dankbar sein, dass ich bei einem Vergleich mit Ihnen auf meiner eigenen Verabschiedung nicht als der Mann mit der Abrissbirne apostrophiert wurde.

Und in Richtung Ihrer und auch meiner Nachfolger sage ich: Veränderungen sind unvermeidlich, man muss nur stets darauf achten, dass immer auch ausreichend Neues – qualitativ ebenbürtiges, möglichst besseres - entsteht, wenn etwas anderes abgebaut wird. Und wenn es manchmal mit Mühe verbunden ist, gute Traditionen aufrecht zu halten, dann erinnere ich daran, wie viel mühsamer das Begründen von Traditionen ist. Wir sind Ihnen, lieber Herr Wiebe, zu großem Dank verpflichtet und wünschen Ihnen, dass Sie noch viele Jubiläen in Gesundheit gemeinsam mit Ihrer Frau feiern können. Herzlichen Dank!

Department Maschinenbau und Produktion
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Autor: Jürgen Dankert